[Freitagsrunden-Infoliste] Informationen zu Studiengebühren

Felix Schwarz scfe at cs.tu-berlin.de
Mon Jan 31 21:28:37 CET 2005


Hallo,

wie ihr vermutlich mitbekommen habt, hat das Bundesverfassungsgericht
(BVG) am Mittwoch eine Entscheidung zu Studiengebühren gefällt. Wir
wollen mit dieser Mail etwas Licht in die derzeitige Diskussion
bringen:


Was hat das BVG entschieden?

Das Gericht hat nur darüber entschieden, ob der Bund Studiengebühren
für das Erststudium verbieten darf. Einige Länder wie Bayern und
Baden-Württemberg haben gegen das von der rot-grünen Bundesregierung
durchgesetzte Studiengebühren-Verbot geklagt und Recht bekommen.
Demnach darf jedes Bundesland selbst entscheiden, ob es
Studiengebühren einführen will oder nicht.

Das BVG hat also nur Studiengebühren erlaubt, nicht aber die
Einführung erzwungen. Es ging auch nicht darum, ob Studiengebühren
überhaupt verfassungskonform sind (was aber wahrscheinlich ist). In
Berlin wird es daher auch nicht zum nächsten Wintersemester
Studiengebühren geben.

weitere Informationen:
  Kostbares Wissen
  Das Bundesverfassungsgericht erlaubt Studiengebühren – und stärkt die Länder
  http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/27.01.2005/1613858.asp#art

  

Was folgt aus der Entscheidung?

Bayern und Baden-Württemberg werden zum Wintersemester Studiengebühren
einführen, wobei die Höhe erst mal pauschal zwischen 100-500 Euro pro
Semester liegen soll. In den Jahren danach sollen die Hochschulen aber
auch deutlich mehr verlangen können, nur wegen der kurzen Zeit bis zum
Start der Bewerbungen für das WS wird jetzt erst mal ein niedrigerer
Beitrag verlangt.

In Berlin wird heftig diskutiert. Sicher scheint, dass es zum nächsten
WS auf keinen Fall Studiengebühren geben wird. Die SPD ist laut
Parteitagslinie für Studienkonten (d.h. eine gewisse Semesterzahl ist
frei, anschließend wird gezahlt), die PDS komplett gegen
Studiengebühren.


Wo fließen die Studiengebühren hin?

Allgemeiner Konsens an den Hochschulen ist, dass Studiengebühren (wenn
es sie denn schon gibt) natürlich komplett den Hochschulen zu Gute
kommen müssten und nicht in den Landeshaushalt fließen dürfen. Wir
halten es aber für unrealistisch, dass das in Berlin passieren wird.

George Turner (Wissenschaftssenator a.D., für Studiengebühren):
> Gebühren bringen nicht mehr Geld
>
> (...) Zum anderen sollten die Universitäten durch die ihnen
> verbleibende zusätzliche Einnahme eine bessere Ausstattung erlangen.
> 
> Der letzten Erwartung liegt eine schwerwiegende Fehleinschätzung
> zugrunde. Auch wenn die politische Zusage erfolgt, dass die Gebühren
> nicht auf den Hochschuletat angerechnet werdem, kann man getrost
> Wetten annehmen, welche Entwicklung die Dinge nehmen werden. Eine
> Garantie über den Zugewinn für die Hochschulen mag bestenfalls für
> zwei Haushaltsjahre halten. Danach wird bei der Festlegung des
> Zuschusses vorweg seitens der für die Finanzen eines Landes
> Verantwortlichen das Aufkommen durch Gebühren berücksichtigt werden.
> Man wird dies gewissermaßen „im Sinn“ haben, wenn man den Etat
> aufstellt. Durchsetzbar ist ein anderes Verhalten nicht.
> 
> Wenn also für die Einführung von Studiengebühren gefochten wird,
> damit die Universitäten eine zusätzliche Einnahmequelle erhalten,
> wird die Wirklichkeit außer Acht gelassen. Deshalb ist dieses
> Argument herzlich ungeeignet, die Einführung von Studiengebühren zu
> begründen.
Quelle: http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/06.12.2004/1519515.asp#art

Und Finanzsenator Sarrazin hat die Einnahmen aus Studiengebühren schon
mal offen für sich deklariert:
> Finanzsenator Sarrazin bekräftigte seine Auffassung, daß
> Studiengebühren sinnvoll und notwendig seien. Auch mit Blick auf die
> Verfassungsklage in Karlsruhe auf zusätzliche Entschuldungshilfen
> des Bundes müsse Berlin alles tun, um seine Einnahmen zu verbessern.
> "Ein weiterer Verzicht auf Studiengebühren wäre mit diesen Vorgaben
> kaum zu vereinen."
Quelle: http://morgenpost.berlin1.de/content/2005/01/27/titel/731241.html



Wie hoch werden die Studiengebühren sein?

Allgemein wird jetzt ein Betrag von 500 Euro pro Semester diskutiert.
Wahrscheinlich werden Bafög-Empfänger auch weniger bis gar nichts
zahlen müssen. Wie wir in unserem Semesterrundschreiben deutlich
gemacht haben, halten wir diese "geringe" Summe für ungeeignet, etwas
zu bewirken.

Wir haben errechnet, dass eine wesentlich höhere Summe nötig wäre, um
die Universität spürbar zu verbessern (wenn das Geld denn überhaupt an
die Hochschulen ginge, s.o.), nämlich mehr als 3200 Euro. Darin
eingerechnet sind aber noch nicht der Verwaltungsaufwand und die
Ausfälle durch sozialverträgliche Regelungen.

TODO: VERWEIS auf Semesterrundschreiben

So bringen die andernorts bereits eingeführen
"Langzeit-Studiengebühren" real kein Geld in die Kasse:
> „Karteileichen“ zu vertreiben sei leicht, sagt Frank Ziegele,
> Gebührenexperte am Centrum für Hochschulentwicklung (CHE). Aber die
> Probleme der echten Langzeitstudenten – überfüllte Seminare, schlechte
> Ausstattung – würden mit Strafgebühren nicht gelöst. Außerdem hält
> Ziegele die Einnahmenkalkulation der Länder für unehrlich. Sie müssten
> die Verwaltungskosten einrechnen, die entstehen, wenn die Unis
> entscheiden, wer von den Gebühren befreit wird. (...) Tatsächlich mag
> bislang kein Land die Verwaltungskosten beziffern.
> 
> „Ein Nullsummenspiel“ nennt allerdings der Sprecher der Uni Bonn,
> Frank Luerweg, die zum Sommersemester 2004 eingeführte Langzeitgebühr
> – „wegen des immensen Verwaltungsaufwandes“.
Quelle: http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/25.01.2005/1609551.asp#art


Außerdem müssten die Einnahmen aus Studiengebühren eine Höhe
erreichen, die einen größeren Prozentsatz (30% + X) des
Universitätshaushalts ausmacht, damit die Unis sich _wirklich_ um die
Studierenden kümmern.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ist übrigens der
gleichen Ansicht:
> Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW),
> Klaus Zimmermann, rechnet mittelfristig mit deutlich höheren
> Studiengebühren als den diskutierten 500 Euro. "Klar ist, dass die
> 500 Euro pro Semester, die derzeit diskutiert werden, nur ein
> Einstieg sein können", sagte der dem "Handelsblatt". "Auf die Dauer
> ist das viel zu wenig, um den Universitäten Anreize zu geben, ihre
> Studenten als Kunden zu betrachten", sagte Zimmermann. Er rechne
> damit, dass ein Studiengang an einer durchschnittlichen deutschen
> Universität in fünf Jahren etwa 2500 Euro pro Semester kosten werde.
Quelle: http://www.ftd.de/pw/de/1106385299506.html?nv=cpm



Wer muss zahlen?

Das kommt wohl auf das konkrete Modell an. Auf jeden Fall wird es wohl
Ausnahmen für sozial Schwächere geben, wie auch immer das bestimmt
wird. Prinzipiell gibt es auch viel Diskussion um nachlaufende
Studiengebühren (Studiert wird jetzt, gezahlt erst, wenn man auch
richtig Geld verdient), doch das ist aus Sicht der Unis unattraktiv,
die JETZT Geld wollen und nicht erst in fünf Jahren.

Alle Modelle, die demnächst umgesetzt werden sollen und mir bekannt
sind, setzen auf sofortige Bezahlung durch die Studis - unabhängig
davon, wie viel tatsächlich studiert wird (Stichwort:
Teilzeitstudium).

Soweit ich weiß, sehen die Modelle auch keinen Bestandsschutz für
bereits immatrikulierte Studis vor, so dass wohl jeder sofort nach
Einführung von Studiengebühren zahlen muss.



Fazit

Wir halten alle Argumente, die darauf abzielen, dass Studiengebühren
den Hochschulen mehr Geld bringen, für nicht stichhaltig. Nur bei
saftigen Gebühren in Richtung von 2000-3000 Euro pro Semester könnten
diese Einnahmen interessante Summen erreichen, doch auch dann ist die
Frage offen, ob das Geld überhaupt bei den Unis ankommt...

Es gibt allerdings Hinweise, dass Studiengebühren dafür sorgen, dass
gewisse Studis schneller studieren und die Absolventenquote gesteigert
wird.

Andererseits wird jede Art von Studiengebühren (egal wie gut sie
sozial abgefedert werden) dafür sorgen, dass einige Leute nicht
studieren. Die derzeit diskutierten Modelle mit sofortiger
Zahlungspflicht und ohne Differenzierung nach Anzahl der besuchten
Veranstaltungen werden auf jeden Fall dafür sorgen, dass ziemlich
viele Leute abbrechen oder gar nicht erst anfangen werden.


weitere Hinweise

Zum Thema Studiengebühren wird es am Mittwoch von 12-14 Uhr eine
Vollversammlung im Audimax geben. Einige Unis denken auch über Streiks
und Demonstrationen nach.

Der Asta der FU will Donnerstag (3.2.) eine Demo gegen Studiengebühren
organisieren: http://www.astafu.de/aktuelles/archiv/a_2005/presse_01-27

http://wiki.freitagsrunde.org/Studiengebühren

-- 
Felix